Spricht man von der Antike, dann kommen meistens ganz schnell einige Philosophen ins Spiel, wie Sokrates, Platon oder Aristoteles; neuerdings werden auch einige Stoiker (auf die ich in einem anderen Artikel eingehen werde) in den Vordergrund gerückt.
Gut, deren Einfluss ist auch nicht von der Hand zu weisen, obgleich es so viele verschiedene Philosophen und philosophische Strömungen gab (und gibt).
Schon während des Studiums war ich von den Kynikern und ihren Ideen oder ihrer Art zu Leben fasziniert.
Daher möchte ich in diesem Beitrag mal einen genaueren Blick darauf werfen, was der Kynismus oder die Kyniker eigentlich waren.
Inhaltsverzeichnis
- Die Basis (historisches)
- Die Basis (philosophisches)
- Zugang zum Kynismus
- Weltsicht der Kyniker
- Bedürfnislosigkeit und Gesellschaft
- Ende des Kynismus
Die Basis (historisches)
Die Namensgebung liegt etwas im Dunklen, was mitunter daran liegt, dass die Kyniker nichts schriftlich hinterließen.
Jedoch gibt es einige Vermutungen, wie es zu dem Begriff Kyniker gekommen sein mag.
Zum einen ist es möglich, dass der Ursprung der Namensgebung in dem einem Athener Gymnasion lag, welches Kynosarges genannt wurde und Antisthenes (s.u.) unterrichtete.
Gebaut wurde die Halle an der Stelle, wo sich zuvor das Heiligtum des Herakles Kynósarges befand, welches seinen Namen wiederum einer mythologischen Erzählung bekommen haben soll, in der ein Hund (griech.: kýón) eine tragende Rolle gespielt haben soll.
Wobei diese Entstehung eher als etwas Zufälliges betrachtet werden kann, ist es möglicherweise naheliegender, dass auf Grund der Art des Kynismus und durch das Verhalten deren Vertreter, das Volk darin eher ein „Hundeleben“ sah.
Die Kyniker waren eine sehr zynische Philosophengattung (funfact: Das moderne Wort Zynismus ist vom ursprünglichen Wort Kynismus abgeleitet, hat jedoch heute eine andere Bedeutung), wodurch es gar nicht so abwegig ist, dass sie diese Idee des Hundelebens übernommen haben und mit diesem Begriff spielten.
Zeitlich spielte die Strömung ab dem 5. Jahrhundert v.Z. eine Rolle und verebbte dann im 5. Jahrhundert n.Z..
Die ersten und bekanntesten Vertreter des Kynismus waren Antithenes (Schüler des Sokrates) und dessen Schüler Diogenes – Diogenes ist wahrscheinlich sogar populärer, als sein Lehrer selbst.
Der Kynismus hat sich zwar nicht all zulange gehalten, jedoch gab dieser einige Grundideen an die spätere Stoa weiter und hatte somit maßgeblichen Einfluss auf diese.
Etwas problematisch ist bei dieser philosophischen Strömung, dass sie, wie erwähnt, keinerlei Originalschriften hinterlassen hat, sondern sich das historische Bild insbesondere aus Überlieferungen und Legenden manifestiert.
Besonders Diogenes war ein populärer Vertreter des Kynismus und hat schon damals mit seiner Lehre stark die Bevölkerung polarisiert.
Das bedeutet, dass die Überlieferungen einerseits übertrieben positiv, andererseits herablassend negativ ausgefallen sein können – was aber für uns kaum bzw. schwer nachvollziehbar ist.
Die einen sahen bspw. in Diogenes einen ethisch unfehlbaren Lehrer, die anderen hingegen sahen in ihm einen unmoralischen Lebensversager.
Gleichzeitig wurden aber auch die Überlieferungen selbst kaum in Frage gestellt.
Der zeitliche Abstand von den ersten Kynikern, bis zu schriftlichen Überlieferungen über diese beträgt zwischen drei- bis fünfhundert Jahre, was eben schon Fragen der Genauigkeit aufwirft.
Auch die sehr kleine Anzahl von Vertretern dieser philosophischen Strömung wurde nie sonderlich hinterfragt.
Erst mit der Generation nach Diogenes wird der Kynismus eine kurze Zeit greifbar.
Bezogen auf Diogenes selbst gibt es fast nichts, was nicht in Zweifel gezogen werden kann, nicht einmal seine historische Existenz ist einwandfrei nachweisbar, einzig Theophrast, als zeitgenössischer Autor, erwähnt ihn
Die Basis (philosophisches)
Doch was machte den Kynismus so besonders?
„Ich besitze nicht, damit ich nicht besessen werde.“
Antisthenes
Zum einen gab es einen Grundgedanken der den Kynismus ausmachte: Den eigenen Besitz auf das wirklich allernotwendigste zu reduzieren, um inneres Glück durch höchstmögliche Unabhängigkeit von außen zu erreichen.
Aus unserer heutigen Zeit ist bei dem einen oder anderen ja etwas ähnliches bekannt: Der Minimalismus.
Für den Minimalismus gibt es unzählige Anleitungen, wie man ihn richtig auslebt, was man alles weggeben kann/muss oder wie viele man überhaupt noch besitzen sollte.
Diese Idee des Minimalismus hat sich zeitweise in einigen sozialen Medien stark ausgebreitet und ist somit im heutigen Leben präsenter, als es vor ca. 10 Jahren der Fall war.
In diesem Fall sind sich Kynismus und Minimalismus relativ ähnlich, jedoch ging der Kynismus noch wesentlich weiter.
Die Kyniker machten sich die Armut zu eigen und kleideten sich (wenn sie denn überhaupt etwas trugen) in einfachste Gewänder, lebten von Almosen, waren als Wanderprediger unterwegs und schliefen dabei auf Straßen und in de Säulengängen der Tempel.
Sie lebten also den Minimalismus in ihrer extremsten Form aus, gepaart mit einer asketischen Lebensweise.
Von Metaphysik und bspw. der Ideenlehre Platons hielten sie nicht, sondern sahen die Natur als ihr einziges Vorbild, wobei sie sich zudem an die Idee der Ethik hielten.
Zugang zum Kynismus
Wie vorangegangen schon erklärt macht es die Überlieferung einem weniger leicht einen Zugang zu ihnen zu finden, denn die Quellen aus dritter Hand und die gänzlich fehlenden Aufzeichnungen der Kyniker selbst.
Um das jedoch richtig zu stellen, sowohl Antisthenes, aber auch spätere Kyniker wie Monimos (beide Schüler des Diogenes) oder Krates haben im Ursprung Schriften hinterlassen, die jedoch im Laufe der Zeit teilweise oder völlig verloren gegangen sind.
Dabei handelt es sich nur um einige wenige Kyniker.
Hinzu kommt, dass sie lange Zeit gar nicht als richtige Schule der Philosophie angesehen wurde, sondern darin seit im Altertum nur eine Art Lebensweise sah, jedoch nicht mehr.
Somit ist eigentlich das größte Problem beim Zugang des Kynismus‘, man auf die verwandte Lehre der Stoa oder eben jene Überlieferungen aus dritter Hand zurückgreifen muss.
Nutzt man dafür jedoch eine eigentlich andere philosophische Lehre, so entsteht dabei eine Mischung aus zwei Lehren und der Kynismus wird dennoch nicht völlig in seiner Ursprungsform dargestellt.
Im Endeffekt kann man sich der Idee der Kyniker nur annähern, muss jedoch eine gewisse Distanz bewahren.
Jedoch kann man über Stammbäume mit Lehrer-Schüler Beziehungen erkennen, dass sowohl Kynismus als auch Stoa beide ihren Ursprung in Sokrates als Lehrer haben und sich aus dem Kynismus die Stoa entwickelte, da der Schüler von Diogenes Krates von Theben war und dieser Kition unterrichtete, welcher die Stoa begründete.
Wobei auch diese Stammbäume, die theoretisch zwar in der Antike ihren Wert hatten, mit einer gewissen Distanz betrachtet werden sollten.
Weltsicht der Kyniker
Stellt sich nun aber die Frage, auch wenn es historisch sehr lückenhaft anmutet, was die Kyniker denn eigentlich für eine Sicht der Welt hatten oder worin sich ihre Philosophie begründete.
Wie schon erwähnt, strebten die Kyniker nach Glück, wie so viele andere philosophische Lehren auch.
Jedoch ging es ihnen dabei um das Glück des Einzelnen, welches sich durch innere Unabhängigkeit und einer gewissen Autarkie äußerte.
Durch äußere Güter könne man dieses Glück jedoch nicht erreichen, weil sie unwichtig oder sogar schädlich für ein glückliches Leben sind.
Die Kultivierung der Tugend würde zu einer inneren Freiheit und dementsprechend zum Glück führen.
Hierin unterscheiden sich Kynismus und Stoa:
Der Kynismus weist weltliche Güter zurück, er möchte nichts damit zu tun haben.
Die Stoiker hingegen sind in diesem Bereich weniger strikt, sie empfehlen eher eine passive Zurückhaltung.
Doch was Kyniker eigentlich mit der Tugend meinen, ist nicht genauer definiert, sondern bleibt abstrakt.
Hierbei können jedoch die Anekdoten über die Kyniker etwas Abhilfe schaffen, in denen darauf verwiesen wird, dass sie es als tugendhaft ansahen weniger bis gar nichts zu besitzen, somit bedürfnislos wurden, gleichzeitig so aber die Glückseligkeit gesteigert wird.
Durch die Bedürfnislosigkeit kommt die Natürlichkeit wieder ins Spiel, die oben schon erwähnt wurde.
Die Kyniker orientierten sich an der Natur und somit sahen sie in bspw. dem öffentlichen Leben des Diogenes nichts frevelhaftes oder skandalöses, sondern es war völlig normal, wie er sich verhielt, ja sogar tugendhaft, weil er sich ganz nah an der Natur bewegte.
Daher ist die Idee des Hundes bzw. des Tieres gar nicht so fern, weil sie sich eben auch an jenen orientierten, um Glück zu erfahren und ein positives Leben zu führen.
Für die Kyniker waren die drei größten Hindernisse bei dem Streben nach Glück Begierde, Angst und Unwissenheit.
Die Begierde insbesondere nach Dingen oder Ansehen.
Die Angst vor Schicksalsschlägen oder das was andere über einen denken könnten.
Die Unwissenheit, besonders hier zeigt sich ein besonderer Charakterzug des Kynismus, denn nur durch Wissen kann die Tugend erreicht werden.
Dieses Wissen um die Tugend musste dann nur noch umgesetzt werden.
Sokrates wäre sicherlich fasziniert gewesen von den neuen Gedanken der Kyniker.
Bedürfnislosigkeit und Gesellschaft
Die Bedürfnislosigkeit der Kyniker aber auch der Minimalisten hatte damals den Vorteil (und auch heute noch), dass man, bezogen auf das Schicksal, wenig Angriffsfläche bietet.
Dinge können nicht kaputt gehen oder gestohlen werden, weil sie überhaupt nicht vorhanden waren.
Es wird also weniger seelischer Ballast und Sorgen mit sich herumgetragen, was dem Streben nach Glückseligkeit zu Gute kommt.
Andererseits ist es aber auch nun so, dass gerade dieses Abwenden und Anders-Sein in der Gesellschaft nicht unbedingt gut ankam, zumal die Kyniker an der Gesellschaft selbst Kritik äußerten.
Die Kyniker erinnern ein wenig an die Punks unserer Neuzeit.
Ihre Kritik an der Gesellschaft, bestand nicht nur aus dem Vorleben ihrer Armut, einem gewissen Hohn und Spott, sondern ihre Predigten waren derbe und teils mit vulgärer Sprache durchsetzt.
Auch provozierten sie gerne bspw. durch Skandale, damit ihrem Protest gegen die bestehende Gesellschaft Aufmerksamkeit zukam.
Ende des Kynismus
Es lassen sich zwei Zeiten des Kynismus ausmachen:
Der erste Zeitabschnitt (hellenistischer Kynismus) mit Antisthenes und Diogenes, war wie oben beschrieben sehr gesellschaftskritisch und teilweise sehr provokativ in seiner Art.
Die Gesellschaft als ein unnatürliches Konstrukt mit ihrer Fixierung auf Dinge und Titel angesehen.
An oberster Stelle stand die Natur und damit einhergehend die Tugend.
Als zweiten Abschnitt lässt sich der römische Kynismus (römische Kaiserzeit) ausmachen.
Dort wurde die Gesellschaft plötzlich weniger abgelehnt und der Kynismus soll schon fast religiöse Züge gehabt haben.
Der hellenische Kynismus war also noch sehr auf das Individuum bezogen, während der römische Kynismus dies nicht mehr mit sich brachte.
Was jedoch bei beiden Strömungen gleich blieb, waren die gelebte Askese und Bedürfnislosigkeit.
Durch die Veränderung innerhalb des Kynismus‘ löste sich am Ende der Antike diese philosophische Richtung völlig auf und erhielt sich durch bestimmte Ideen weiter im Stoizismus.
Doch es muss nicht nur die Umgestaltung in der kynischen Philosophie gewesen sein, die zu ihrer Auflösung führte, denn schaut man sich die Zeit der Antike genauer an, so wird schnell offensichtlich, dass die zuvor starken Griechen sich nicht gegen das aufstrebende römische Reich behaupten konnte.
Aber nicht nur das – auch waren die Römer, Strikter bei der Durchsetzung der Ordnung und Störer unsanft behandelt.
Hinzu kommt, dass nach dem Tod Kaiser Julians 363 n. Z. nur noch Christen auf dem Thron saßen und bestimmte Formen der Philosophie abgelehnt wurden.
Ein griechischer Kyniker, in Lumpen gekleidet, der sich auf dem Marktplatz provokativ gegen die Gesellschaft ausgesprochen hätte, wäre dafür sicherlich in den Zirkus Maximus gekommen.
529 n. Z. wurde auch die Platonische Akademie geschlossen, was zeigt, dass obwohl das Christentum selbst stark von der griechischen Philosophie beeinflusst wurde, es keinen Platz für die griechische Philosophie gab.
Das erklärt sicherlich besser, warum die sowieso schon kleine Gruppe kynischer Philosophen gänzlich verschwand.
Kaiser Julian hat sich übrigens in zwei Reden gegen die zeitgenössischen Kyniker ausgesprochen.
Die erste Rede galt direkt dem Kyniker Heraklaios, wo Kaiser Julian ihn dafür kritisiert, dass er sich gegen die Götter und gegen den Kaiser ausgesprochen hat.
In der zweiten Rede stellt Kaiser Julian die alten Kyniker, in denen er die wahren Kyniker sah, mit den zeitgenössischen Kynikern gegenüber.
Ein gewisser Idealismus den alten Kynikern gegenüber wird hierbei sicherlich eine Rolle gespielt haben.
Jedoch wird dadurch das Bild über das Verhältnis von römischem Reich und Kynikern stückweise klarer und es wird nachvollziehbarer, dass zur Zeit Kaiser Julians, der selbst kein Christ war, die Kyniker diesen religiösen Beigeschmack erhielten.
Man durfte eben noch ein bisschen Kyniker sein, zumindest eine gewisse Zeit.
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