Unter diesem Thema brachte das Philosophie-Magazin damals ein Heft heraus. Darin werden verschiedene Gedanken und Positionen zu dieser Frage behandelt.
Wie es meine Art ist, würde ich natürlich gerne über jeden einzelnen Artikel etwas schreiben, doch das wäre für den Leser ziemlich umfangreich und ich kann mich so oder so schon immer nicht kurzfassen.
Daher beziehe ich mich nun lieber auf Interview, welches ich sehr interessant fand.
Es geht dabei um den Autoren Wilhelm Schmid.
Den Namen noch nie gehört?
Keine Angst, ich auch nicht. Aber man muss auch nicht jeden sofort kennen.
Vielleicht ändert sich ja das Interesse nach diesem Überblick über das Interview.
Inhaltsverzeichnis
Das Ziel und die Lebenskunst
Schmid ist Philosoph und Bestsellerautor; er beschäftigt sich eingehend mit der Frage nach der Lebenskunst. Das Besondere bei Schmid ist, dass er schon recht früh seine Berufung fand, aber diese an einem bestimmten Punkt seines Lebens fast verworfen hätte.
Er hatte schon als Kind eine Vorstellung davon, was er werden wollte. Andere Kinder äußern sich meist mit Vorstellungen, wie Polizist, Feuerwehrmann oder Astronaut. Schmid hingegen wollte Bücher schreiben.
Seine Kindheit und Jugend hindurch änderte sich dieser Wunsch nicht. Später schickte er seine Manuskripte auch Verlagen, was aber nicht von Erfolg gekrönt war. Doch das hielt ihn nicht vom Schreiben ab, er machte weiter.
Der einjährige Studienaufenthalt in Paris war in dieser Beziehung ein wichtiger Negativpunkt, da er weder viel aß, noch trank oder sich seiner sozialen Kontakte bemühte. Doch der Rückzug war gewollt, da er sich dem reinen Denken widmen wollte. Er gesteht jedoch, dass er dadurch körperlich ein Wrack wurde und nicht fern des Selbstmords war. Gerade an diesem tiefsten Punkt überkam ihn der Gedanke, dass er das Leben von Grund auf neu lernen müsse.
Das gipfelte in dem Begriff der Lebenskunst, mit dem er sich fortan leidenschaftlich beschäftigte. Dennoch sagt Schmid auch, dass man an einem Begriff, mit dem man sich so intensiv beschäftigt, auch irre werden kann. Das „irre werden“ sollte man aber nicht mit „verrückt werden“ verwechseln, denn es geht dabei eher darum, den Überblick über alles, nicht nur das eigene Thema, zu verlieren.
In diesem „irre werden“ stellen sich dann automatisch existentielle Fragen bspw. wie es karrieretechnisch weitergehen soll. Er dachte daran, die Philosophie als akademisch-berufliches Ziel an den Nagel zu hängen und sich auf seine Stelle im historischen Institut, seiner damaligen Universität, zu beziehen, da sich zu dieser Zeit die Möglichkeit bot, wissenschaftlich Fuß zu fassen und Karriere machen zu können.
Seine Freunde hielten ihn für verrückt und haben ihn deswegen sogar beleidigt, weil er damit seine offensichtliche Berufung aufgeben wollte. Nach einiger Zeit dachte er sich, dass es sich dabei um seine engsten Freunde handelte und es doch möglich sein könnte, dass sie recht hätten.
Er gab seine Beschäftigung mit der Geschichte auf, auch wenn er damit beruflich gesehen erst einmal keine Perspektive hatte.
Schmid wirft aber auch ein, dass nicht jeder unbedingt eine Berufung oder ein Lebensziel benötigt, sondern auch viele Menschen so in den Tag hineinleben können. Es ist also nichts Notwendiges und es gibt kein einheitliches Ziel für alle, weil der Mensch nun mal sehr unterschiedlich ist.
Für Schmid besteht die Lebenskunst darin, „Optionen zu öffnen, niemals Normen aufzustellen.“ (Philosophie Magazin, 05/2015, S. 64)
Die Lebenskunst möchte damit also zeigen, welche Möglichkeiten es gibt und wenn man sie doch nicht hat, was man dafür tun kann, sie zu öffnen.
Alternativen des Lebens
Ein, wie ich finde, wichtiger Punkt, den Schmid anspricht ist, dass wir in einer Zeit leben, in denen es keine wirklich allgemein verbindlichen Normen mehr gibt; gleichzeitig aber viele Menschen daran leiden, bestimmte Normen nicht erfüllen zu können. Hört sich erst einmal sehr paradox an. Er nennt hierbei die Werbung als Beispiel.
Interessant ist auch sein Gedanke über das „Hier und Jetzt“. Uns wird immer wieder gesagt, dass man im Hier und Jetzt leben müsse, doch das hält er für falsch, denn er ist der Ansicht, wenn man ständig im Hier und Jetzt lebt, man nie etwas in seinem Leben zustande kriegt. Das bezieht sich darauf, dass keine Pläne geschmiedet und Ziele verfolgt werden. Jedes Ziel, das verfolgt wird, muss erarbeitet und geplant (so weit dies möglich ist) werden.
Psychologisch gesehen ist dieser Gedanke gar nicht mal so verkehrt, denn ich kann nicht etwas wollen, dafür aber nichts tun bzw. keine kleinen (Fort-)schritte zu dem Gewollten machen. Wenn man etwas visualisiert, dann muss man etwas dafür tun.
Das ist in etwa vergleichbar mit einem Leichtathleten, der sich eine Übung vorstellt und danach ausführt. Dadurch wird seine Ausführung besser.
Hingegen jemand, der sich vorstellt ein Leichtathlet zu werden, dann aber nichts weiter macht, sondern nur im Hier und Jetzt lebt und nur darauf hofft, der wird dieses Ziel auch nicht erreichen.
Natürlich macht diese Idee der Zielsetzung einen recht kalten und ehrgeizigen, vielleicht sogar etwas starren Eindruck, was Schmid kulturell begründet, wenn man sich überlegt, wie sich die Zielsetzungen seit dem 18. Jahrhundert entwickelt haben.
Dennoch ist er der Meinung, dass genau diese Zielsetzungen hinterfragt werden sollen, da wir schon in unserer Jugend ständig mit Zielsetzungen konfrontiert werden und es selten anders kennen. Dabei leiden gerade Kinder und Jugendliche an dem Zwang, sich Ziele setzen zu müssen. Die Moderne sollte lernen, maßvoller mit Zielsetzungen umzugehen und gleichzeitig auch andere Optionen der Lebensarten zulassen und anzuerkennen.
Warum genau das?
Warum ich gerade dieses Interview so interessant finde?
Schmid greift dieses Thema auf und ich konnte oft schon hören „Na, das ist ja eine Karriere“ oder „Was willst du später mal werden“ oder „Du musst doch an deine Karriere denken“.
Mal bezieht sich das auf mich und mal nicht. Der erste Ausspruch wurde in einem Gespräch geäußert, wo es um eine Frau ging, die mit 50 Jahren beruflich plötzlich etwas völlig anderes gemacht hatte, als ihre vorherigen Ausbildungen vermuten ließen. Soweit ich weiß, hatte sie studiert, später noch eine Ausbildung gemacht und war eher der geistigen Arbeit zugetan. Bis sie dann mit 50 Altenpflegerin wurde. Sie bekam nicht annähernd das Gehalt, welches sie zuvor bekam und die Arbeit als solche war auch weitaus anstrengender. Zudem hatte dieser Beruf auch nichts, aber auch gar nichts mit ihren vorherigen Berufen zu tun.
Daraufhin äußerte mein Gesprächspartner obigen Satz. Er verstand nicht, dass man in einem höheren Alter den Beruf wechseln konnte, um seiner potenziellen Berufung nachzugehen. Dass man zuvor vielleicht gehemmt war und sich nicht ausleben konnte – warum auch immer.
Zudem gibt es immer mehr Menschen, die aus der Schule kommen und nicht wissen, was sie werden wollen. Sie haben kein genaues Ziel und versuchen ihre Stärken zu finden. Dabei kann es dann schon etwas dauern, bis man das findet, was einem liegt. Mitunter sogar, bis man über 30 ist. Andere hingegen haben eine genaue Vorstellung von dem, was sie machen und werden wollen. Später entscheiden sie sich dann vielleicht doch noch um, weil es eventuell gar nicht ihr eigener Wunsch, sondern der eines Elternteils gewesen ist.
Ich sollte mir damals in der Schule überlegen, wo ich in fünf Jahren später stehen will und jeder in der Klasse sollte das dann vortragen.
Mal abgesehen davon, dass diese Aufgabe ein psychologisches Desaster ist, weil unser Gehirn dann davon ausgeht, dass man das Vorgetragene schon erreicht hat und dementsprechend auf Sparmodus umschaltet, steht man einer erzwungenen Zielsetzung gegenüber. Man muss sich in dieser Situation also Ziele setzen, auch wenn man das gar nicht will und es ebenso wenig nötig ist.
Natürlich sind es schöne Gedankenspiele, wo man sein und was man machen könnte, aber psychologisch gesehen, sollten es auch Gedankenspiele bleiben. Damit würden die Möglichkeiten offen und potenzielle Ziele nicht im Keim erstickt werden. Es gäbe somit eine freiere Zielsetzung, die weitaus weniger erzwungen wird.
Zumal sich nicht jeder ein Ziel setzen will, sondern, wie schon geschrieben, einfach in den Tag hineinleben möchte.
Schmid geht auch davon aus, dass es verschiedene Phasen der Zielsetzung gibt, was das Alter anbelangt. Im Jugendalter, bis 25 muss nichts festgelegt werden, sondern es werden die Optionen ausprobiert und angeschaut. Zwischen 25 und 50 befindet sich die Phase der Realisierung. Ab 50 Jahren werden wir, durch die Natur und das Leben selbst, eingeschränkter, weil nicht mehr alles durchführbar ist. Dennoch ist er der Meinung, man könnte bis zu seinem letzten Tag Projekte verfolgen; wir sollen uns also nicht selbst hemmen.
Die Einteilung ist natürlich sehr vage und eher ein theoretisches Konstrukt, als dass es praktisch so passieren muss.
Ziele sind gut und schön, aber es gibt eben kein einheitliches Mittel sie zu verfolgen, noch muss jeder ein Lebensziel haben. Dem einen reichen kleine Ziele im Alltag, ein anderer lebt in den Tag hinein und wieder ein anderer hat große, vielleicht sogar utopische Ziele.
Gleichzeitig sollte man als Lehrender oder Elternteil nicht darauf pochen, dass das Kind, der Jugendliche oder junge Erwachsene ein eindeutiges Ziel hat. Vielleicht hat es das ja auch, aber möchte nicht darüber sprechen; würde aber durch das „darüber sprechen“ sich in einem Zwang sehen und möglicherweise diese Ziele (psychologisch) verwerfen.
Ein wirklich lesens- und nachdenkenswertes Interview.
Eine Antwort
Ich zitiere den letzten Satz: „Ein wirklich lesens- und nachdenkenswertes Interview.“