Die große Klammer, eine Theorie der Normalität, so lautet das 2019 erschienene Buch von Hans Martin Esser und ehrlich gesagt, fällt es mir nicht ganz leicht, eine endgültige Meinung zu diesem Buch zu haben.
Was aber auch nicht dramatisch ist, denn schließlich regt das an, ein Buch mehrmals in die Hand zu nehmen.
Es geht inhaltlich um einen Versuch der Definition der Normalität und der Frage „Was ist normal?“. Wenn wir sagen „ist doch normal“ oder „der ist doch nicht normal“, dann bewegen wir uns mit einer solchen Äußerung immer in einer Grauzone. Das Problem bei Grauzonen ist, auch für die Philosophie, aufgrund der Schwammigkeit, fasst niemand sie wirklich gerne an.
Das kann verschiedene Gründe haben, zum einen, dass man vielleicht nicht wirklich zu einem Ergebnis kommt, weil es eben ein schwammiges Terrain ist, zum anderen, weil es sich dabei um ein schwieriges Thema handelt, was zwar allgegenwärtig ist, jedoch durch eben jene Schwierigkeit kaum verstanden wird.
Schwierigkeiten mit „Die große Klammer“
Was für mich persönlich an diesem Buch problematisch war, ist das Verstehen als solches. Als akademisches Buch ist es hervorragend, da es mal abgesehen von den Hinweisen auf andere Studien und Sekundärliteratur, viele unterschiedliche Bereiche der Normalität beleuchtet und versucht sich diesem Begriff zu nähern. Die große KLammer ist eben ein akademisches Buch, was bedeutet, dass es nicht für jedermann verständlich ist (selbst ich hatte da wirklich ab und an Probleme zu verstehen, was der Autor jetzt meint).
Von der Schlüssigkeit und vom Aufbau her, stellen sich keine Fragen, das ist wirklich gelungen, doch die akademische Verkopfung, die mir auch an der Universität immer wieder aufgefallen ist, macht das Lesen und somit auch das Verstehen nicht ganz so einfach, was die Leserinnen und Leser potentiell verschrecken könnte.
Mit dem einen oder anderen Beispiel gehe ich auch nicht ganz konform, was aber auch daran liegen kann, dass mein Bezug dazu einfach ein anderer ist.
Das ist mir an dem Punkt aufgefallen, als Hans Martin Esser darauf verwies, dass im Endeffekt unsere Kategorien, von Worten im eigentlichen Sinne, Vorurteile sind. Er hat das mitunter an dem Beispiel des Wortes „Apfel“ dargelegt. Ein Apfel hat eine gewisse Form, Größe, Farbe etc. und passt somit in die Kategorie Apfel. Ein Apfel, der hingegen wegen seines Gewichtes, aus dieser Kategorie herausfällt, ist also eigentlich nicht mehr ein Apfel „im normalen Sinne“. Somit, wenn ich Esser richtig verstanden habe, sind Kategorien eigentlich nur Vorurteile. Wir haben quasi das Vorurteil, wie ein Apfel ungefähr zu sein hat.
Das Problem, welches ich hier sehe, ist, dass das Wort „Vorurteil“ sozial negativ belastet ist und somit widerstrebt es mir bei Kategorien von Vorurteilen zu sprechen.
Eine Kategorie ist meines Erachtens mehr ein Werkzeug. Mit diesem Werkzeug kann man sich in dieser Welt bewegen und versuchen, sie zu verstehen. Es ist also ein Hilfsmittel in der Welt.
Dennoch ist mir klar, was Esser eigentlich damit sagen will: Habe ich eine Kategorie von z.B. einem Apfel, dann ist das für mich Normalität, wie ein Apfel zu sein hat. Kommt nun ein 15 kg Apfel daher, der dennoch völlig identisch aussieht, schmeckt usw., dann passt dieser jedoch nicht mehr in meine Kategorie des Apfels, welche dann zu einem Vorurteil wird, wie ein Apfel zu sein hat; da ein Apfel ja „normalerweise“ nur so und so schwer ist.
Fazit
Wer also über die Normalität und somit auch seine eigene Definition von „Normal“ hinterfragen möchte, dem sei dieses Buch empfohlen.
Wie erwähnt, ist die große Klammer anspruchsvoller, da sehr akademisch, jedoch nicht minder lesenswert.
Ich werde es definitiv mindestens noch ein weiteres Mal lesen, um tiefer in die Gedanken von Hans Martin Esser eintauchen zu können.
Veröffentlicht August 2020, aktualisiert