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oblomow

Philosophisches Werk?

Die letzten Wochen hatte ich die Gelegenheit das Buch mit dem Titel „Oblomow„* von Iwan Alexandrowitsch Gontscharow zu lesen.
Sein Werk erschien 1859 und es handelt sich dabei, zumindest nicht direkt um ein philosophisches Werk.
Dennoch ist es ein Klassiker der Literatur, den man nicht außer Acht lassen sollte.
Es sei jedoch gesagt, dass es gewaltig ist, sowohl vom Inhalt, als auch vom Umfang.
Mit seinen über 700 Seiten begibt man sich auf eine Reise in eine Zeit, die in unserer digitalisierten Welt kaum mehr vorstellbar ist.
Doch auch wie in unserer derzeitigen Situation, befindet sich das damalige Russland oder besser gesagt, die ganze Welt im Aufbruch.

Der Protagonist und Gutsbesitzer Oblomow hat sich anfänglich im Staatsdienst des Zarenreiches befunden, doch er fand darin keine Erfüllung und ein wirklich arbeitsamer Mensch war er noch nie wirklich.
Sein Bester Freund aus der Kindheit, Stolz mit Namen, hingegen, ist bereit die Welt zu erkunden, sich weiter zu entwickeln und etwas aus seinem Leben zu machen.
Oblomow verbringt nach dem Quittieren des Staatsdienstes, mit Anfang 30, seine Tage untätig und Tagträumereien nachgehend.
Er denkt über das Los der Leibeigenen nach und wie edel es wäre, dieses zu verbessern.
Auch denkt er darüber nach, wie er sein Gutsbesitz auf Vordermann bringen ließe und entwirft dabei einen  Musterplan; was viele Jahre zu dauern scheint.
Doch nichts voll all seinen Träumereien setzt er in die Tat um.
Olga, die ihm von Stolz vorgestellt wurde, versucht ihn hinaus in das Leben zu führen, was einige Zeit auch gut funktioniert, doch ist sie ihm zu lebhaft und auch seine Gedanken sind ihm selbst dabei im Wege.
Einige Zeit später heiratet sie Stolz, was aber der Freundschaft zwischen Oblomow und Stolz nicht schadet.
Oblomow findet sein neues Glück bei der weniger lebhaften Agafja, die ein kleines Haus besitzt und ihre Lebenserfüllung darin findet, dass Oblomow zufrieden ist und ihn das Leben so wenig wie möglich mit seinen Widrigkeiten stört.

Als satirischer Spiegel gedacht, zum philosophischen Buch erwachsen - Oblomow. Eines der Lieblingsbücher im Philosophie Blog Denkatorium


Oblomowerei – oder die Philosophie von der Handlungsunfähigkeit

Die ganze Unruhe endete mit einem Seufzer und erstarb in Apathie oder in einem Zustande des Halbschlafs.

Oblomow


In dem Buch kommt an einem Punkt das Wort „Oblomowerei“ vor, welches Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Leitbegriff wurde.
Dieser Begriff umschreibt eine gewisse Unfähigkeit zum Handeln. Man sieht zwar das Problem, aber ist seiner Art nach Handlungsunfähig. Nicht weil man nicht die Macht hat, sondern weil es ein Unvermögen darstellt.
Gontscharow zeigte mit seinem Werk damals auf, wie träge der Dienstadel und die Gutsbesitzer waren, die nicht von sich heraus, obgleich sie die Möglichkeit hatten, die sozialen Verhältnisse zu reformieren.
Der Freund Oblomows und in gewisser Weise sein Gegenspieler, verkörpert hingegen die aufstrebende Industrie.

Doch, obwohl Gontscharow den Geldadel kritisiert, finde ich, dass man in den Figuren Oblomow oder auch Stolz noch viel weitergehen kann.
Oblomow macht einen zwar verträumten, aber auch gleichzeitig depressiven Eindruck. Es sieht so aus, als würde er erst alles zerdenken, kommt dann an einen Punkt, wo er plötzlich aktiv werden will, wird nur auf das nötigste aktiv und fällt alsbald zurück in seine gewohnte Position.
Auch ein gewisser Nihilismus spielt dahingehend eine Rolle, wie ich finde: Er wünscht sich, dass alles so wäre, wie in seiner Kindheit, die ganze Familie war träge und hat nur das nötigste unternommen. Wenn am Haus etwas kaputt gegangen ist, dann wurde lange überlegt, was nun zu tun ist. Meist hatte man das Gefühl, es wurde dann eben nichts erneuert oder repariert, sondern nur das allernötigste getan, was zum Leben notwendig war.
Es wurde üppig gegessen, was die Bediensteten herrichteten, es wurde oft gedöst und selbst beim Briefeschreiben haben sie sich eine Menge Zeit gelassen.
Heute würde man sagen, dass man das Gefühl hatte, die Zeit würde nicht vergehen, gepaart mit einer Art „Aufschieberitis“. Oblomow wollte so wenig vom Leben mit all seinen Problemen wissen, sondern alles sollte ruhig und behütet von statten gehen.
Das bedeutet auch, dass er nach nichts weiter strebte. Vielen Menschen wohnt ein gewisser Drang nach Weiterentwicklung inne, ein Streben nach Wissen, nach Höherem. Doch Oblomow hat dies nicht.
Wenn man es genau nimmt, möchte er sein Leben leben, ohne jeglichen Stress und in einer gewissen Langeweile, bis er dann irgendwann sterben kann. Er sagt sogar irgendwann, dass er des Lebens überdrüssig ist.

Depression und Nihilismus

Nicht nur sein Zimmer, die ganze Welt erschien ihm verödet und in ihm selber herrschten Kälte und Schmerz. Wenn er sein Leben betrachtete, sein Herz befragte und seinen Kopf, so bemerkte er mit Schrecken, dass ihm kein Traum, keine rosige Hoffnung verblieb. Alles lag schon hinter ihm.

Oblomow

Man kann sich Oblomow als eine Art wandelnde Depression vorstellen, was die Unfähigkeit zum Handeln unterstreicht.
Mal geht er ins Theater, mal liest er ein wenig oder schaut aus dem Fenster, aber bei nichts ist er wirklich mit dem Herzen dabei.

Sein Freund Stolz hingegen bewirtschaftet sein Gut, reist durch ferne Länder, verbindet sich mit anderen Menschen, baut sich sein Leben auf und erlebt sein Glück.
Zwar gibt auch er zu, dass alles manchmal etwas anstrengend ist oder auch er mal vor Problemen steht, aber nichts was nicht zu lösen wäre.
Man sieht in seinem Handeln den Optimismus und den Willen nach Mehr, genau das was Oblomow fehlt.

Autor des Buches "Oblomow" - Iwan Alexandrowitsch Gontscharow. Das Denkatorium hätte ihn gerne philosophisch Interviewt
Iwan Alexandrowitsch Gontscharow

Auf der anderen Seite könnte man behaupten, dass das Nicht-Streben von Oblomow schon fast an Zen erinnert, denn ihn bekümmern zwar auch einige Dinge des Lebens, wie unbezahlte Rechnungen oder dass er aus seiner Wohnung ausziehen muss, aber dennoch fügt er sich, ohne etwas an der Situation zu ändern.

Wobei sich darüber wahrlich streiten lässt, schließlich war Gontscharows Absicht eine andere, besonders weil er mit seinem Buch sogar so weit geht und die grundlegende Frage nach dem Sinn und Zweck des menschlichen Handelns stellt.

Lustigerweise wurde er selbst im Kreis der Petersburger Künstler „Prinz der Faulheit“ genannt, weil er einen sehr behäbigen Lebensstil führte. Man könnte sogar soweit gehen und behaupten, dass seine Hauptfigur (zumindest eine Zeit lang) Ähnlichkeit mit ihm hatte.

In allem gesehen ist es ein wirklich, wirklich tolles Buch, das zum Denken anregt und auf Grund des Umfangs eben ein wirkliches Machwerk darstellt.
Selbst wenn man eigentlich kein Romanleser ist, wie ich es bin, freue ich mich umso mehr, wenn ich solche Werke in die Finger bekomme, weil sie wirklich etwas besonderes sind.

Artikel ursprünglich veröffentlicht (Jan. 2021), überarbeitete Version.

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